Von überfüllten Metros, ersten Unterrichtserfahrungen und der Macht der Musik


Die erste Woche in Indien ist vorbei, so langsam pendelt sich alles ein und der Tagesablauf ist einigermaßen geregelt. Jeden Morgen fahre ich mit der Metro zur Schule—in Neu Delhi immer eine neue Erfahrung. Auf die obligatorische Leibesvisitation...





durch Angehörige der Armee - allein durch das im Anschlag gehaltene Maschinengewehr sehr respekteinflößende Erscheinungen - folgt Tag für Tag der Kampf um einen Platz in der Metro. Mit Schubsern und häufig leider auch Fäusten machen viele Inder auf der Suche nach dem optimalen Stehplatz das höfliche Bild, das ich durch meine Gastfamilie und viele indische Bekanntschaften eigentlich habe, wieder zunichte.
Eingeklemmte Rucksäcke sind auch bei mir an der Tagesordnung ;)

In der Schule angekommen heißt es: Unterricht. Inzwischen habe ich meinen Stundenplan - von vierjährigen Vorschülern bis zu jungen Erwachsenen ist jede Altersgruppe dabei.
Einige der Jungs, die ich morgens
unterrichte
Sanjay, ein Schüler, 
mit seinem Neffen
Blumen im Schulgarten


Zuerst die Jungs der ersten bis dritten Klasse, die wohl anspruchsvollste Altersgruppe. Allein der Weg von Klassenzimmer zu Klassenzimmer bringt IMMER Verluste mit sich - Die einen suchen mit Handständen, Rädern und Salti meine Aufmerksamkeit, andere trödeln, wieder andere rennen weg, und schwuppdiwupp ist die Hälfte verschwunden. Im Unterricht dann ein ähnliches Bild: Viele können kaum Englisch und konzentrieren sich lieber auf Getrommel oder ihre Sitznachbarn. Und die Jungs müssen unglaublich häufig auf die Toilette ;) Trotzdem bemerke ich schon jetzt Fortschritte, die Vorstellungsrunden mit Namen, Alter und Hobbys klappen immer besser und ich werde immer mehr als „teacher“ und damit als Respektsperson akzeptiert.
Nach eineinhalb Stunden wilder Rasselbande kommt mit den „Outsider Boys“ eine mehr als angenehme Gruppe. Outsider Boys sind Jungen aus den angrenzenden Slums, die neben ihrer eigentlichen Schule oder ihrer Arbeit auch bei Kalakar Trust den Englischunterricht besuchen. Viele von ihnen sind bereits Mitte zwanzig und möchten für ihren Beruf ihr Englisch verbessern. Die Outsider Boys kommen immer mit unzähligen Fragen, Wörtern die sie irgendwo, in der Zeitung oder auf der Straße aufgeschnappt haben, mit grammatischen Phänomenen, denen sie auf den Grund gehen möchten, mit Themen, über die sie sprechen wollen.

Das bedeutet, ich kann mich nie richtig auf den Unterricht vorbereiten: Bevor man anfangen kann, meldet sich schon der erste, fragt, ob wir über „tenses“ reden können, ob man die Bedeutung von „to hire“ erklären kann, oder was ein „adjective“ von einem „adverb“ unterscheidet. Außerdem ist es wirklich bereichernd, mit den Outsider Boys einfach auf Englisch zu reden, da viele noch etwas schüchtern sind. So kommen beinahe täglich tiefgründige Gespräche zustande, von Träumen und Berufswünschen bis hin zu religiösen und philosophischen Themen.


Aakash, einer der Outsider Boys,
und ich in der Guitar Class...
...nach dem Facepainting,
einer der Art Activities
...In der Guitar Class...


Ein weiterer Teil des Lehrplans sind die „Art Activities“ - künstlerische Aktivitäten. Von Akrobatik bis Gesichtsbemalung, von Tanzen bis Harmonium, von Trommeln bis (Puppen-)theater, können die Kinder bei Kalakar Trust kreativ werden. Während dieser Zeit gebe ich meist Gitarrenunterricht - bis jetzt ein Kuddelmuddel: Jeder möchte zeigen, was er schon gelernt hat, und vom blutigen Anfänger, der noch nie eine Gitarre in der Hand hatte, bis zum fortgeschrittenen Spieler ist wirklich alles dabei.

Trotzdem ist die Guitar Class definitiv einer der schönsten Momente des Tages. Wir improvisieren, spielen einfach drauf los, finden uns, und am Ende kommt immer etwas wunderbares dabei heraus. Einer trommelt, zwei spielen Gitarre, drei singen, einige schauen zu; wir spielen westliche Lieder, Bollywoodsongs, traditionelle indische Musik; wir lernen voneinander und miteinander, haben Spaß, lachen gemeinsam.
Und fast immer verlasse ich die Guitar Class mit einem breiten Grinsen auf dem Mund, mit tiefer Befriedigung, mit dem Gefühl, heute etwas bewegt zu haben…

So, ich muss mich entschuldigen, dass die Einträge erst nach und nach kommen, bis jetzt war das mit dem Internet noch nicht geklärt, aber ab jetzt wird es besser!
Liebe Grüße!