Refugees welcome!

Anmerkung: Eine aktualisierte und überarbeitete Version dieses Kommentars findet ihr auf meinem neuen Projekt hier. Einen aktuelleren Beitrag über Flüchtlinge habe ich hier veröffentlicht.

Es gibt Momente, in denen sich eine Gesellschaft entscheiden muss, wo sie stehen will. Momente, in denen die Zeit zugleich still steht und durchdreht. Momente mit Folgen, die wir heute nicht voraussehen können. Mit dem Mord an Khaled Idris Bahray ist ein solcher Moment gekommen.

Ich schreibe diesen Artikel, weil ich traurig, enttäuscht, wütend, ängstlich und hoffnungsvoll zugleich bin. Vor allem aber schreibe ich, weil ich beschämt bin. Ich bin beschämt über Dresden, die Stadt, in der ich seit Oktober lebe. Ich bin beschämt über die Menschen, die montäglich gegen die „Islamisierung“ protestieren, und über die Menschen, die eine andere Meinung haben, aber zu Hause bleiben. 
Und ich schäme mich gegenüber allen Menschen mit Migrationshintergrund, allen Ausländern und Asylbewerbern in Dresden und Deutschland.

Khaled.

Letzten Montag wurde der 20-jährige Khaled Idris Bahray tot aufgefunden. Ein Asylbewerber aus Eritrea, geflohen aus Angst vor Verfolgung, in Dresden mitten im Leben und voller Hoffnung. Khaled lebte zusammen mit anderen Asylbewerbern in einer Wohnung in Dresden. Regelmäßig bekamen er und seine Mitbewohner Drohungen und Aufforderungen, Dresden zu verlassen in Form von Schmierereien an der Haustür.

Wir alle sind wütend – darauf, dass die Polizei trotz sichtbaren Blutspuren, Messereinstichen und einer Morddrohung, die Khaled einige Tage zuvor erhalten hatte, zuerst Fremdeinwirkung ausschloss. Wütend, dass die Spurensicherung erst 30 Stunden nach dem Mord an Khaled eingeschalten wurde, dass die Behörden trotz der Erfahrungen mit der NSU versagten. 

In Gedenken an Khaled fand heute eine Mahnwache statt. Ich würde gerne die Atmosphäre vor Ort beschreiben, doch kann sie nicht in Worte fassen. 

Die Eritreer, irgendwo zwischen Trauer um ihren Freund Khaled, Wut auf die Behörden und Angst um ihre eigene Sicherheit 
gefangen, schreiben in einem Flugblatt: „Wir sind gekommen, weil wir Schutz und Sicherheit suchen. Aber wenn wir hier nicht willkommen sind und wenn wir hier um unsere Sicherheit fürchten müssen, dann müssen wir weiterziehen.“ Dieser Satz brennt sich in meinem Gehirn ein, macht mich und die anderen Dresdner sprachlos.

In diesem Moment wird das Recht auf Leben und das Recht auf Asyl infrage gestellt.

Fatima [*]

Dresden ist eine Stadt, die schon immer von ihrer Weltoffenheit und Internationalität profitiert hat. Handel machte Dresden reich, Kurfürsten reisten durch Europa, um sich inspirieren zu lassen, engagierten die besten Handwerker, um ein Florenz an der Elbe zu bauen.
Heute studieren und lehren an der Technischen Universität Forscher aus aller Welt, und Zuwanderer stützen die Wirtschaft in beträchtlichem Maße. Zuwanderer wie Fatima:

Fatima ist eine Freundin von mir hier in Dresden. Sie kommt aus Südasien, hat in mehren europäischen Städten studiert und arbeitet in Dresden. Wenn sie mir von Vermietern, die keine ausländischen Personen in ihrer Wohnung haben wollen oder von fiesen Kommentaren, wenn sie jemanden auf Englisch nach dem Weg fragt, erzählt, dann möchte ich vor Scham am liebsten im Boden versinken. Letzten Montag fragte Fatima, wann denn die Demonstration stattfinde. Ich war froh, dachte, sie wollte auch an der Demonstration gegen die Pegida teilnehmen. Doch ihre Reaktion auf meine Antwort machte mich blind und wütend auf die Welt: 
Fatima wollte wissen, wann sie gefahrlos in der Stadt einkaufen konnte.



Eigentlich mag ich diesen Satz nicht, doch er brennt mir auf der Tastatur: „In was für einem Land leben wir hier eigentlich?“ Am 22. Dezember wurde eine Gruppe kurdischer Jugendlicher von 50 Rechtsextremen tätlich angegriffen. Menschen, die „nicht Deutsch“ aussehen, trauen sich montags nicht mehr in die Innenstadt. Neulich meinte Fatima zu mir: „Ich bin nach Europa gekommen, um frei zu sein und mich frei bewegen zu können. Doch diese Freiheit habe ich hier in Dresden nicht.“ Hier und heute wird das Recht auf Freiheit und Sicherheit infrage gestellt.

Pegida.

Ich studiere, weil ich die Welt besser verstehen will. Doch gerade scheitere ich schon daran, Dresden zu verstehen.

Montag für Montag demonstrieren zehntausende Menschen in Dresden gegen die sogenannte „Islamisierung des Abendlandes“. Laut einer nicht-repräsentativen Studie ist die Hauptmotivation der Pegida Unzufriedenheit mit der Politik und Kritik an den Medien und der Öffentlichkeit. Pegida ist ein Sammelbecken – für „besorgte Bürger“, Verschwörungstheoretiker, Neonazis, Hooligans, Menschen mit sozialen Sorgen und  konservativ-Bürgerliche mit Abstiegsängsten. Ich möchte hier keine politische Debatte lostreten, mir geht es an dieser Stelle um zwei Dinge:
  1. Pegida bietet eine Plattform für Positionen aller Art, von denen einige ganz bestimmt auch legitim sind, viele aber gefährlich, undemokratisch, rassistisch und menschenverachtend. Dass Pegida solche Positionen duldet ist eine Schande.
  2. Pegida erzeugt in Dresden ein gefährliches, fremdenfeindliches Klima. In einem demokratischen Rechtsstaat wie Deutschland kann jeder seine Meinung öffentlich äußern, das ist wichtig und gut. Die Kritik an der bisherigen Integrationspolitik ist jedoch in offenen Hass gegenüber Ausländern umgeschlagen. Und dieser Hass äußert sich in der Tatsache, dass Menschen mit Migrationshintergrund um ihre körperliche Unversehrtheit fürchten müssen.
Pegida ist gefährlich, denn unter der Oberfläche der Integrationskritik schürt sie irrationale Ängste, Hass und Rassismus. In diesem Moment stellt Pegida die Rechte von Zuwanderern und Menschen mit Migrationshintergrund infrage.

Wir.

Wir alle sind Teil einer Gesellschaft und nur gemeinsam können wir etwas bewegen. Dieser Moment stellt unsere Gesellschaft infrage: 
Unsere Grundüberzeugung, dass jeder Mensch gleich viel wert ist, die gleichen Rechte hat und in unserer Gesellschaft willkommen ist, steht auf dem Prüfstand.

Lasst uns am Montag gemeinsam gegen Pegida auf die Straße gehen. Jeden Montag.

Lasst uns zeigen, dass hier kein Platz für Rassismus ist, dass Dresden offen für die Welt ist.

Lasst uns zeigen, dass jeder willkommen ist, lasst uns Zuwanderern mit offenen Herzen empfangen.



Es bleibt ein taubes Gefühl. Zu viel Böses ist schon passiert. Ich fühle mich machtlos und traurig. Gemeinsam aber können wir unsere Ohmacht in etwas Gutes verwandeln. Gemeinsam können wir diesen Moment für uns gewinnen. Gemeinsam können wir entscheiden, wo unsere Gesellschaft stehen soll - jetzt und in Zukunft.




[1] Ich möchte an dieser Stelle klarstellen, dass ich niemanden pauschal verdächtigen möchte. Die Ermittler müssen den Mord an Khaled lückenlos aufklären, das Problem ist, dass bereits jetzt grobe Fehler gemacht wurden. Und der Verdacht, dass der Mord an Khaled einen rechtsextremen Hintergrund hat, liegt sehr nahe.

[*] Name geändert