Wetter, Wahlkampf, Wechselstimmung - Neues aus Neu-Delhi


Alles klebt, die Luft drückt, die wenigen Fußmärsche werden zäh und lang. Ich liege unter einem Ventilator, zur Linken ein Cooler – mein Bett: eine Oase? Eine Fessel!
40°, 42°, 44°. Mit steigenden Temperaturen sinkt der Wille zur Betätigung.
Viel Energie raubt mir das Wetter seit Anfang April, und der Rest wird von der Arbeit genommen. 
Überall schießen Stände aus dem Erdboden hervor, voll mit Limonade und frisch gepresstem Saft. Sie können mich nur bedingt wiederherstellen. Jeder Regenfall ist eine Erlösung!

Im Ernst, ich liebe warmes Wetter, ab irgendwann ist es genug. Ich verspreche hoch und heilig, mich nie wieder über Sommer in Deutschland zu beschweren!

Veränderungen bei der Arbeit

Mit den Plänen, die Kathputli Colony umzusiedeln (hier mein Artikel dazu), hat auch die Schule zu kämpfen. Wie soll es weiter gehen, wenn jeden Tag eine Entscheidung fallen kann, die Entscheidung, die Schüler ihrer Schule entzieht? Sechs Klassen werden zu drei zusammengelegt, fünf Lehrerinnen müssen gehen.
Den Englischunterricht für die gesamte Schule übernehmen nun Clemens und ich - ein spürbares Mehr an Verantwortung und Arbeit.

Die Gründerin von Kalakar Trust hat ihre Entscheidung getroffen, mit dieser muss die Schule nun zurechtkommen. Mir persönlich leuchten die Gründe für die Umstrukturierung ein, dennoch fällt es mir schwer, den aktuellen Vorgängen Positives abzugewinnen.
Was ist mit den entlassenen Lehrerinnen, mit den Kindern, die nicht mehr in die kostenlose Schule gehen können? Was passiert mit der Schule, wenn der Slum tatsächlich umzieht? Und hat Kalakar Trust überhaupt noch eine Zukunft, wenn sich die Lage der Menschen so radikal verändert?
Fragen, die mich derzeit häufig beschäftigen.


Es gibt natürlich noch andere Dinge zu vermelden: Der Unterricht geht weiter, letzte Woche zum Beispiel mit dem Thema „Obst“ bei den Kleinen – zum Abschluss machen wir gemeinsam Obstsalat. Die freiwilligen Schüler am Nachmittag lernen fleißig Gitarre und versprechen, in ihren Sommerferien das Notenlesen zu lernen. So werden sie sich auch selbst Stücke beibringen können. Mal schauen, was daraus wird. Bis jetzt hatten die Schüler immer Probleme, wenn sie keine direkten Ergebnisse sehen konnten – und den letzten Bollywood-Hit zu spielen beeindruckt die Mädels natürlich um einiges mehr!

Im Englischunterricht kommen zahlreiche Schüler, da die letzten Prüfungen nun vorbei sind. Auch wenn natürlich nicht alle mit vollster Motivation am Werke sind: Ich bewundere die Jugendlichen, die meist neben staatlicher Schule und Nachhilfe mitten im Hochsommer zusätzlich Englischunterricht nehmen.

In diesen Tagen geht die größte Wahl, die die Menschheit gesehen hat, zu Ende:

Eine kleine Wahlanalyse

Indiens Bevölkerung hat jahrzehntelange Korruption und Misswirtschaft abgewählt und die fast ununterbrochene Herrschaft der Kongresspartei ist vorerst zu Ende.
Wahlsieger Narendra Modi
Klarer Wahlsieger ist die „hindunationalistische“ Partei BJP und ihr Spitzenkandidat Narendra Modi, der nächste Woche als Premierminister vereidigt wird. Ob sich Indien mit dieser Wahl einen Gefallen getan hat? Das weiß ich nicht. Modi macht mir gleichzeitig Hoffnung und Angst.

Politische Karriere in der hindunationalistischen Partei
Narendra Modi schließt sich bereits mit 9 Jahren der sogenannten RSS, der größten Freiwilligenorganisation der Welt an. Diese Organisation ist bekannt dafür, in Indiens Dörfern wichtige Entwicklungs- und Bildungsarbeit zu leisten. Gleichzeitig wurde die RSS auch mehrmals verboten. Grund: Sie sei militaristisch und nationalistisch. Einige Strömungen in der RSS sind ziemlich fundamentalistisch und sprechen sich gegen andere Religionen aus.
Modi macht in der RSS Karriere, opfert sich für die Organisation auf und läuft dafür auch von zu Hause weg.
In den 1980er Jahren schließt sich Modi der neu gegründeten BJP an. Während die große Mehrheit dieser Partei die indische Kultur unabhängig von Religion oder Kaste bewahren will gibt es auch eine Minderheit, die keinen Hehl daraus macht, dass sich alle anderen Religionen unter den Hinduismus unterordnen sollen.

Aufstände in Gujarat
2001 wird Modi zum Ministerpräsidenten des Bundesstaats Gujarat gemacht. Als Reaktion auf einen Anschlag verfolgen und ermorden radikale Hindus im Jahr 2002 über 1000 Moslems. Modi steht seit dem unter dem Verdacht, die Aufstände nicht unterbunden, ja sogar unterstützt zu haben.
Intensive Untersuchungen konnten keine Beweise finden, es melden sich jedoch Zeugen, die Modi belasten – und so weiß nur ein extrem kleiner Zirkel, was Sache ist.

Profil: Entwicklung
Modi setzt sich in Folge der Aufstände das Ziel, Gujarat zu einem modernen und entwickelten Staat zu machen. Internationale Unternehmen investieren und schnell wächst die Wirtschaft rasant. Auch die vielen Dörfer profitieren – wenn man der Presse glaubt. Nach offiziellen Zahlen hat fast jede Familie fließendes Wasser und Elektrizität rund um die Uhr.
Entwicklung ist auch das Stichwort, mit dem Modi in den Wahlkampf zieht. Und sein Image als unkorrupter und effizienter Macher kommt bei den Wählern an.

Ausgewogene Berichte sind schwer zu finden…
Modi hat die indische Gesellschaft zutiefst polarisiert, wird entweder wie ein Superheld verehrt oder zutiefst gehasst. So sind unabhängige oder ausgewogene Berichte schwer zu finden. Ich hoffe, ich konnte euch die schwierige Situation etwas näherbringen.
Wer Interesse hat und einen wirklich guten und wirklich langen Artikel sucht: http://caravanmagazine.in/reportage/emperor-uncrowned

Außerdem möchte ich noch einmal auf unsere Spendenaktion hinweisen! Danke für eure Hilfsbereitschaft!


Soweit von meiner Seite - ich freue mich auf eure Rückmeldung!

Liebe Grüße,
Jonathan